Viele bringen «schwul» nicht über die Lippen

Er ist SVP-Mitglied, homosexuell und engagiert sich gegen die Sexualkunde-Initiative seiner Parteikollegen. Im Interview mit 20 Minuten erklärt Thomas Fuchs, weshalb er das tut.

Das Komitee, das hinter der Initiative «Zum Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule» steht, besteht überwiegend aus Mitgliedern der SVP sowie anderer national- und christlich-konservativer Kräfte. Sie als SVP-Vertreter sind jedoch dagegen. Weshalb?
Thomas Fuchs: Die Initiative geht in vielen Fragen zu weit und ist verklemmt. Es kann nicht sein, dass Kinder erst mit zwölf in den obligatorischen Sexualkundeunterricht müssen – gerade heute, wo sie per Handy oder Internet so früh mit Pornografie in Kontakt kommen. Ich stimme den Initianten jedoch zu, dass es im Kindergarten noch zu früh für Aufklärung ist. Ein Gegenvorschlag und der Rückzug der Initiative wäre wohl die beste und schnellste Lösung.

Sie sind Mitglied der Interessengruppe für eine «vernünftige Sexualkunde». Wie soll die Aufklärung aus Ihrer Sicht vonstattengehen?
Natürlich sollen die Eltern ihre Kinder selbst aufklären. Spätestens ab acht, neun Jahren braucht es in der Schule aber einen obligatorischen Sexualkundeunterricht, von dem niemand dispensiert werden darf, auch Muslime nicht.

Ein Unterricht inklusive Sexboxen, wie sie im Kanton Basel-Stadt zur Anwendung kommen?
Nein. Aufklärung heisst, mit Taktgefühl zu arbeiten. Dieses fehlte bei dieser Kampagne gänzlich. Die Ausgestaltung dieser Sexboxen war ein Steilpass für die Initiative! Die Verantwortlichen waren sich nicht bewusst, dass es in der Schweiz Regionen gibt, die eben etwas verklemmter sind. Man überschätzte die Offenheit und die Toleranz der Bevölkerung. Viele Leute leben doch noch hinter dem Mond – Homosexualität kennt man dort gar nicht. Ich kenne Erwachsene, die das Wort «schwul» nicht über die Lippen bringen.

Wie wurden denn Sie selber aufgeklärt?

Eben nicht (lacht). Über Sex wurde weder in der Schule noch zu Hause gesprochen. Ich habe das Gefühl, das ist auch heute noch bei vielen Kindern so. Die Folge: Sie können mit niemandem über Probleme und Ängste sprechen und müssen schwerwiegende Entscheidungen unter Umständen alleine treffen.

Sie sprechen von Ihrem eigenen Coming-out?
Nicht nur. Natürlich war das schwierig. Aber dasselbe Problem tritt auch auf, wenn es um Schwangerschaften oder sexuelle Krankheiten geht. Auch hier ist Aufklärung wichtig.

Das Initiativkomitee kritisiert aber, Ihre IG vertrete tatsächlich vor allem Anliegen, die von Schwulen- und Lesbenorganisationen kommen.
Das Thema Aufklärung ist in diesem Zusammenhang natürlich wichtig. Es geht um die Frage: Ist es «normal», wenn man schwul oder lesbisch ist? Gerade bei Zuwanderern, aber auch auf dem Land sind Homosexuelle oft noch alles andere als akzeptiert. Auch heute werden geoutete Jugendliche auf dem Pausenplatz noch oft ausgelacht oder bedroht. Gute Information wirkt dem entgegen. Wir sind halt nun einmal nicht alle gleich!

Die Initianten wollen aber genau nicht, dass Kinder zu früh mit Begriffen wie Homosexualität in Kontakt kommen.
Herrgott noch mal, wir leben im Jahr 2013 und nicht im Jahr 1935. Diese Leute müssen verstehen, dass man unangenehme Themen nicht einfach verdrängen kann.

Gerade Exponenten Ihrer Partei zeigen aber oft Berührungsängste, wenn es um das Thema Homosexualität geht. Müssten Ihre Parteikollegen auch noch mal in den Aufklärungs-Unterricht?
Die Frage ist: Wissen sie wirklich nicht genug darüber oder wollen sie nicht mehr wissen? Viele denken wohl, mit einer konservativen Position zu diesem Thema könnten sie punkten.

Können Sie sich denn überhaupt noch mit Ihrer Partei identifizieren?
Zu 100 Prozent. Nein zum EU-Beitritt, Ja zur Armee, weniger Steuern und Abgaben – das sind meine Positionen. Auch in Familienfragen bin ich auf der Parteilinie – ich stehe hinter der traditionellen Familie. In Bezug auf die Sexualkunde kann etwas frischer Wind in der Partei aber sicher nichts schaden.

Thomas Fuchs ist Grossrat und Mitglied der Justizkommission des Kantons Bern. 2011 rutschte er in den Nationalrat nach, schaffte die Wiederwahl bei den eidgenössischen Wahlen im selben Jahr aber nicht.

Quelle: J. Büchi, 20 Minuten

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