Erich Hess aus dem Emmental wurde mit 34 Nationalrat und sorgt mit unkonventionellen Ideen und träfen Sprüchen für Aufsehen. Das linke Establishment blickt auf ihn hinab, seine Erfolge erstaunen Freund und Feind immer wieder.
Nationalrat Erich Hess (SVP) ist einer der am meisten unterschätzten Politiker des Landes. Mitten im Wahlkampf landete der 42-jährige Berner einen krachenden Erfolg: Der Rat nahm seine Motion an, gemäss dieser die Autobahn A1 durchgehend auf sechs Spuren auszubauen sei. In Zeiten galoppierender Preise schlug Hess diesen Sommer vor, AHV-Renten von der Einkommenssteuer zu befreien. Mit diesem an sich «linken» Argument überholte Hess die verdutzten Genossen quasi rechts auf dem Pannenstreifen. Sogar die Mainstream-Medien applaudierten für diese sachlich wie politisch schlaue Aktion.
Hess` äussere Markenzeichen sind die Igelfrisur und sein spitzbübisches Lachen. Seit 20 Jahren ist der Emmentaler eine der schillerndsten Figuren der Schweizer Politlandschaft – und zwar im «guten» wie im «schlechten» Sinn. Hess ist ein Bub aus dem Volk, mit einem direkten Draht zum rechtsbürgerlichen Schweizer Kleinbürger und Mittelständler: Dieser arbeitet hart und fährt gern Auto, liebt «Mohrenkopf» und «Zigeunerschnitzel». Er will wenig Steuern zahlen und keine kriminellen Ausländer im Land, Chaoten und Schmarotzer hat er auf der Latte. Er liebt die Schweiz und ihre Traditionen, kämpft für Freiheit und Unabhängigkeit und ist überzeugt, dass der liebe Gott Mann und Frau schuf und angebliche weitere Geschlechter nichts weiter als ein (menschlicher) Furz sind.
Vom Lastwagenfahrer zum jugendlichen Politstar
Aufgewachsen ist Hess in Zollbrück (BE) unweit von Langnau. Der Vater arbeitete bei der Landi, «die Mutter schaute zu mir und meiner jüngeren Schwester, so wie es üblich war». Später habe sie in der Guetzli-Fabrik Kambly in Trubschachen gearbeitet. Erich war ein leidlich guter Schüler, schon damals aufmüpfig, «wenn ich etwas falsch oder ungerecht fand». In der Freizeit ging er, wie viele seiner Kollegen, in den Schützenverein und interessierte sich – anders als die meisten Kollegen – für Politik. «Zu Hause diskutierten wir schon über Politisches, meine Eltern hielten sich jedoch mit ihrer Meinung gegen aussen zurück – und meine Schwester war links.»
Eigentlich hätten ihn die Eltern «ins KV drängen wollen». Der schon damals stachelige Erich entschied sich für eine dreijährige Lehre als Lastwagenchauffeur. Das Fahren beigebracht habe ihm der heutige SVP-Grossrat Martin Schlup aus Schüpfen. In seiner Freizeit darfs eine Nummer kleiner sein, dann fährt Hess mit seinem alten Jeep durchs schöne Bernbiet.
«Mich störten unnötige Gesetze und Vorschriften, zu hohe Steuern und Abgaben sowie die negativen Auswirkungen der hohen Zuwanderung auf die Schweiz.»
Hess legte eine steile Karriere hin: Mit 16 trat er der SVP bei. «Mich störten unnötige Gesetze und Vorschriften, zu hohe Steuern und Abgaben sowie die negativen Auswirkungen der hohen Zuwanderung auf die Schweiz.» Schon mit 17 war Hess Präsident des Wahlkreises Emmental, wurde mit 18 in den Vorstand der JSVP Schweiz aufgenommen, war dort Kassier und mit 24 Präsident JSVP Kanton Bern. In atemberaubendem Tempo ging es weiter: Noch im selben Jahr wurde er Berner Stadtrat, mit 29 Grossrat und mit 34 Nationalrat. «Zeitweise hatte ich drei Mandate. Wenn die Sessionen parallel liefen, flitzte ich mit dem Elektrotrotti zwischen Berner Rathaus und Bundeshaus hin und her, um keine Abstimmung zu verpassen.»
Das kantonale Mandat gab er bald ab. Was auf den ersten Blick erstaunt, macht auf den zweiten Sinn. Denn auf lokaler Ebene kann er seinen Hauptfeind besser bekämpfen: die alternative Reitschule. «Dieser Schandfleck muss weg, die Benutzer scheren sich einen Deut um geltende Gesetze, greifen die Polizei an und bieten Straftätern Schutz. Sie maulen über den Staat, lassen sich aber trotzdem von der Stadt subventionieren. Das ist total verlogen.» Hess und Mitstreiter versuchten das «Chaoten-Nest» mehrere Male an der Urne auszuräuchern, scheiterten jedes Mal am linksgrünen Beamten- und Bildungsbürgertum der Bundesstadt.
Hess ist neben Andreas Glarner die Reizfigur in den Reihen der SVP. (Ein)gebildete Besser- und Schlauermenschen lachen über den «dummen Lastwagenfahrer», ereifern sich über den «unheimlichen Patrioten» und seinen «hinterwäldlerischen Fremdenhass» und ersticken wenig später angesichts seiner Erfolge und Bauernschlauheit fast an der eigenen Galle. Hess hat Humor und ist ein unverbesserlicher Optimist. Kleine Anekdote am Rand: «Ich habe während Corona im Bundeshaus fast nie eine Maske getragen und musste zur Strafe den Besuchereingang benützen.» Sein Impfstatus hingegen sei «Privatsache».
Der Mann mit dem Titan-Kinn
Und Hess lacht auch noch, wenn er eins kassiert. Womit wir bei einem zweiten, wenn auch weniger offensichtlichen Merkmal wären: Der Mann hat, um es in der Boxersprache auszudrücken, ein Kinn aus Titan. Der Gegner kann so oft und so hart reinhauen, wie er will, Hess bleibt stehen und lacht dabei, was seine Gegner zuweilen an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt.
Einige Müsterchen: Der «Türken»-Komiker Müslüm und Reithallenfreund widmete Hess 2010 den Song «Erich, warum bisch du nid ehrlich, … warum hasch du chaine Herzeli und bisch so aggressiv.» Der Song stürmte die Hitparade, alle lachten – inklusive Hess. Einige Jahre später entdeckte sogar das deutsche Fernsehen den wortgewaltigen Jungpolitiker aus der Schweiz. Getarnt als Politmagazin führte das ZDF Hess vor wie einen Zirkusaffen. Der Blick warf den «Naivling» dem linken Pöbel zum Frass vor. Hess meinte unaufgeregt, er habe schon gemerkt, dass die Dreharbeiten und das Verhalten des Moderators «etwas seltsam» waren, sich aber gedacht: «Es sind halt Deutsche …»
Rauchen, trinken, feiern
Hess ist eine Festhütte und ist immer wieder für vermeintliche oder tatsächliche Skandälchen gut: So 2009, als er mit zu viel Alkohol im Blut den Offroader seines Partei-Kollegen Thomas Fuchs schrottreif fuhr. Oder als ihm eine junge Journalistin partout anhängen wollte, er habe «Likes» auf Instagram gekauft. Auch die Liaison des damals 26-Jährigen mit einer 19 Jahre älteren Szenefrau aus Bern sorgte für Aufsehen. «Wir haben uns an einem Anlass kennen gelernt.» Danach sei man noch für einen Absacker zu ihr nach Hause. «Und da hat sie mich gleich dabehalten», schmunzelt Hess.
Zurück in die Gegenwart: Nach dem «kulturellen Aneignungs»-Skandal rund um die Rastas der Reggae-Band «Lauwarm» besuchte Hess mit seinen Nationalratskollegen Thomas Aeschi, Thomas Matter und Mike Egger die «Brasserie Lorraine», bekam aber kein Bier serviert. Dafür wurde ihm wiederholt eines über den Kopf geleert, «meine Igelfrisur hat jedes Mal standgehalten und Bier trocknet ja».
«Grüessech, i cha äbe nume Bärndütsch»
2022 trafen sich Müslüm und Hess erneut, Hess war Gast bei «Müslüm-TV». Beide zeigten sich überzeugt, der Karriere-Booster des andern zu sein. Müslüm spazierte mit Hess durch die Berner Altstadt und besuchte mit ihm einen – seriösen – thailändischen Massagesalon. «Sawadee Krap», grüsste Müslüm, Hess schüttelte den Damen gutgelaunt die Hand, «Grüessech, i cha äbe nume Bärndütsch». Darauf erzählte der Nationalrat einen derben Witz, während die Thai-Damen beiden die Füsse massierten. Der Witz wurde zwar zensuriert, Müslüm fand ihn aber trotzdem «gut». Schliesslich sollte Hess sein politisches Programm erläutern ohne die Begriffe Ausländer, Asylanten, Fremde: «Es sollen nicht zu viele Leute von ausserhalb in die Schweiz kommen, welche nicht ins Land passen …» Wichtig sei «die Meinungsfreiheit», was er als Türke in der Schweiz sicher zu schätzen wisse.
Zum Ausklang der Sendung wollte Müslüm den SVP-Mann noch einmal als prolligen «Lastwägeler» blossstellen. Was der Super-Türke wohl nicht wusste: Hess ist mittlerweile auch Inhaber mehrerer Immobilienfirmen, die Dutzende Wohnungen verwalten.
«Es kommen zu viele Ausländer, und vor allem die falschen.»
Den kommenden Wahlen sieht Hess mit «gelassener Spannung» entgegen, seine Wiederwahl scheint kaum gefährdet. Die Herausforderungen für das Land seien enorm: Der Staat müsse endlich «massiv sparen», die Neutralität hochhalten, die Verkehrs-Infrastruktur ausbauen, die Energieversorgung sichern und vor allem die Einwanderung steuern. «Anstatt jene, die wir in der Wirtschaft brauchen können, kommen vor allem solche, welche unsere Sozialwerke plündern, ohne je einbezahlt zu haben, und Ärger machen.» Deswegen müsse die Schweiz die Personenfreizügigkeit kündigen und wieder Kontingente einführen. «Dann kommen weniger und vor allem die Richtigen.»
Damit es in den kommenden vier Jahren «besser werde», müssten bürgerliche Wähler in Massen an die Urnen, «um die Linken und Grünen zurückzubinden». Er selber führt einen engagierten Wahlkampf und ist sich nicht zu schade, auch vor einer Handvoll Patrioten auf der Schattengibelegg seine Vision der Schweiz zu verkünden. Wie viele Politiker hat auch er Give-Aways dabei. Männer kriegen eine Parkscheibe und Frauen eine Kochkelle mit Hess` Konterfei. Warum für die Frauen eine Kelle? «Wenn der Mann lieb ist, können sie ihm was Feines kochen, und wenn er Ärger macht, kriegt er auf den Deckel.» Lacht – und nimmt einen grossen Schluck aus dem Bierglas.
Text: Hans Ueli Aebi, Nebelspalter.ch